Bilderdossier Nr.2 – HAUT

Kein Kosmetiksegment wächst so schnell wie der Hautpflegemarkt. Bis zum Jahr 2030 soll der weltweite Jahresumsatz bei 150 Milliarden US-Dollar liegen. Zwar haben sich die Aufgaben einer gesunden Gesichtshaut seit der Steinzeit nicht verändert. Aber je mehr pharmazeutisches Wissen (und Halbwissen) im Umlauf ist, desto mehr neue Produkte lassen sich verkaufen.

Das zweite Kapitel des Buchs widmet sich der wichtigsten Barriere zwischen dem Menschen und seiner Umwelt. Warum wir besessen sind von reiner, glatter Haut. Welche Rolle die Pigmentierung spielt – biologisch, kulturell, politisch. Und was es mit der berüchtigten zehnteiligen Korean Skin Care Routine auf sich hat.

Michael Jackson wollte Grenzen überwinden. Zunächst in musikalischer Hinsicht zwischen “weißem” Rock und “schwarzem” R’n’B. Dann aber auch körperlich, zwischen männlichem und weiblichem Aussehen, zwischen ethnischen Merkmalen und den Schönheitsidealen der hellhäutigen US-Mehrheitsgesellschaft.

Sein Song Black or White erschien 1991, und er ist ein pophistorisches Zeitdokument. Das dazugehörige Musikvideo führt uns auf irritierende Art vor Augen, wie sich der Diskurs über Hautfarben, Ethnien, Kulturen und Kolonialismus in drei Jahrzehnten weiterentwickelt hat – zum Glück! Gleichzeitig erinnert es schmerzlich daran, wie diese Popkultur nordamerikanische Ideale über die ganze Welt verbreitet. Das Merkmal heller Haut ist davon bis heute nicht zu trennen.

Haut und Milch: ein ewiges Duo

Die Prostituierten der Sultane, Odalisken genannt, waren berühmt für ihre reine Haut. Auch ihr Geheimnis hat mit Milch zu tun – nur ganz anders.

Mit Elizabeth Taylor hat Hollywood 1962 eine Kunstfigur geschaffen, die bis heute wirkt: Die schöne Cleopatra badete angeblich in Milch.

In den 1980ern kehrte der Ägypten-Hype zurück und mit ihm das Milchbad. Die Cleopatra-Seife versprach Schönheit in BRD-Keramikwelten.

Warum eigentlich Körpermilch, Gesichtsmilch, Reinigungsmilch, Milchbäder? “Haut und Milch durchdringen einander und erneuern sich gegenseitig unaufhörlich”, schreibt der Cambridge-Professor Richard Dyer in seinem Book of Skin. Das antike Baderitual hat es als Luxustopos bis in die Gegenwart geschafft. Und sicherlich: Milch enthält sanfte Säuren und Fette, die bei der Hautpflege helfen können. Aber warum wurden hübsche dralle Melkerinnen zu Werbeikonen? Was soll das mit der Buttermilch als Schönheitskur von innen? Diese Spur führt von den legendären kaukasischen Haremsdamen zur ersten Pockenimpfung 1796 nach England: Bäuerinnen, die oft immun gegen Kuhpocken waren, behielten eine narbenfreie Haut, während halb Europa von der Seuche entstellt wurde.

Häute wie Apple-Geräte

Hailey Bieber – links als Odaliske unserer Zeit – bewirbt ihre neue Hautpflegemilch und den von ihr erfundenen Trend: Glazed Donut Skin. Dewy, glowy, Dumpling Skin, Glass Skin: Die glänzenden Häute sollen eine Lutschlust erzeugen, bonbonglatt, kandiert, appetitlich. Wenn diese Leute auch nichts Süßes mehr essen, sehen sie doch immerhin zum Anbeißen aus. Oder eher wie Smartphone-Oberflächen?

No-Makeup-Makeup ist eine Lebenseinstellung

Emily Weiss zeigte 2012, wieviel Arbeit ein No-Makeup-Makeup (plus Kajalaugen) macht.

Der fernsehbekannte Stylist Jonathan van Ness verrät (keine) Geheimnisse.

Eine Kosmetikerin erklärt, wie man den Milchsäuretoner (sic!) von Glossier aufträgt.

Die Amerikanerin Emily Weiss (*1985) gründete 2010 das Blog Into the Gloss, auf dem Menschen aus der Schönheitsindustrie zeigten, was sie jeden Tag so cremten und pinselten. Im Jahr 2014 stellte sie ihren Leserinnen die Kosmetikmarke Glossier vor, es war ein Direktmarketingcoup. Glossier verkauft seither Produkte an Millennials, die mit viel Geld und Aufwand möglichst ungeschminkt aussehen wollen. Hier begann wohl der No-Make-up-Make-up-Hype. Das Unternehmen wurde 2019 mit 1,2 Milliarden US-Dollar bewertet.

Aufstieg der “Cosmeceuticals”: Wissen ist Macht und Fluch

Die “Skincare-Routine” hat sich zum festen Abendritual entwickelt. Mitte der 2010er begannen Blogger und Youtuber, allerlei Wissenswertes über pharmazeutische Wirkstoffe zu verbreiten. Anfangs waren es wenige günstige Nischenmarken, die in schlichten Apothekerfläschchen ihre Säuren und Seren verkauften – ohne Verpackungsdesign, ohne Werbung, ohne Versprechen, reine Zutaten. Inzwischen gibt es Niacinamid 10%, Ascorbinsäure 15%, Retinol 2%, Glykolsäure 7% oder Hyaluronsäure 25% in jeder Drogerie. Man braucht nur etwas Taschengeld, Neugier und Geduld, um sich selbst zum Versuchskaninchen zu machen. Für die Haut ist der neue Pflegedrang kein Vergnügen. Da wird oft willkürlich gepeelt und geschichtet und nochmal gepeelt und geschichtet. Nicht selten sieht das Gesicht nach ein paar Tagen schlimmer aus als vorher. Die Sehnsucht nach klarer, gesunder Haut ist den Menschen so tief eingeschrieben, dass sie eine Menge auf sich nehmen. Zehn Schritte sollen es in Korea sein – und das seit Jahrtausenden? Es gibt Hinweise darauf, dass auch das nur ein südkoreanischer Marketinggag ist, um dem Westen möglichst viele Produkte anzudrehen.

Unsere Vorfahren schnitten zunächst aus der Helligkeit der Erdoberfläche einen nach allen Seiten abgegrenzten Raum heraus, schufen darin ein Reich des Schattens, setzten die Frau ins innerste Dunkel und bildeten sich ein, es müsse sich um das weißeste menschliche Wesen auf dieser Welt handeln.
— Tanizaki Jun'ichirō, Japan, 1933
Der Sinn der Betrachtung von Weißheit besteht darin, sie aus ihrer Zentralität und Machtposition zu verdrängen, anstatt diese wiederherzustellen
— Maxime Cervulle, Frankreich, 2017

Alle Farben: Von Coco bis Rihanna

Es war Coco Chanel, die Ende der 1920er die jahrhundertelange europäische Ära der vornehmen Blässe beendete. Sie rief Sonnenbaden als modisch aus und machte goldbraune Haut zum Inbegriff von Luxus. Rivierabräune jetzt auch in der Vogue. Die Afroamerikanerin Josephine Baker, der in den USA jeder Erfolg verwehrt war, wurde in Paris zur ersten “schwarzen” Schönheitsheitsikone für ein “weißes” Publikum. Ihren Teint könne man sich mit Walnussöl herbeizaubern, empfahlen französische Magazine. Während hellhäutige Touristenscharen heute Urlaub in früheren Kolonien machen und sich am Strand rotbraun braten, bleicht die dort einheimische Bevölkerung ihre Haut in der Hoffnung auf Statusgewinn. Aktuelle Studien aus Nigeria, China, Südkorea, Jordanien, Saudi-Arabien, Südafrika und Somalia belegen, dass dort eine hellere Haut als vorteilhafter bei der Arbeits- und Partnersuche gilt und allgemein als schöner beurteilt wird.

Auch die Kosmetikindustrie kämpft noch immer gegen ihren Rassismus und Colourismus. Besonders plakativ zeigt sich das anhand der Foundation-Farben einer Marke und auch deren Benennung. Warum gibt es die Grundierungen meist in etwa 25 hellen und nur 3 dunklen Farben? Warum werden dunklere Töne so oft nach leckeren Süßspeisen benannt und helle Töne stattdessen nach erhabenen Dingen wie Schnee oder Porzellan? Die Popsängerin Rihanna hatte keine Lust mehr, sich das zu fragen, und gründete Fenty Beauty. Sie brachte 2017 die erste Foundation in 40 Tönen auf den Markt. Und die hießen nicht mehr Mocca, Chocolate oder Caramel Brownie, sondern #100 bis #489. Die Branche spricht von einer Zeit vor und einer nach Fenty. Nur ein bisschen Farbe, aber ein Meilenstein für die Repräsentanz von People of Colour.

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