Bilderdossier Nr. 8 – ALTER

Das Älterwerden ist für alle Menschen eine prägende Erahrung. Sie beginnt, das könnte jetzt überraschend sein, mit der Geburt. Bis 30 ist alles einigermaßen in Ordnung. Dann kommen die ersten narzisstischen Kränkungen. Man erkennt, was im genetischen Gabenkorb liegt. Er verliert Haare, ahnt Frisur und Figur seines Vaters. Sie bekommt vom täglichen besorgten In-den-Spiegel-Schauen Dellen und Falten. Alles strebt dem Erdmittelpunkt, dem Ende entgegen. Frauen wissen das, sobald sie keine Kinder mehr bekommen können. Männer wissen das, sobald sie keine Frauen mehr bekommen können, die noch Kinder bekommen können. Das achte Kapitel des Buches widmet sich diesem, wie die Essayistin Susan Sonntag 1972 sagte, “Double-Standard of Aging” und den Maßnahmen, die Menschen ergreifen, um älter zu werden und dabei jünger auszusehen. Eine aktuelle Studie besagt, dass Frauen heute schon im Alter 23 Jahren eine Altersangst verspüren. Bei früheren Generationen setzte die erst zwölf Jahre später ein. Männer betrifft das kaum, weil ihnen gemeinhin Kompetenzen zugeschrieben werden, die mit dem Alter wachsen. Ist eine Gesellschaft vorstellbar, in der solche Stärken auch Frauen zugeschrieben werden?

Bei den Filmfestspielen von Cannes im Mai 2024 erlebten vor allem die älteren Frauen einen unerwarteten Frühling. Demi Moore 2024 stellte den Film ihres Lebens vor. Mit 61 Jahren spielte sie in The Substance einen früheren Fernsehstar, der aufgrund des fortschreitenden Alters ausgemustert werden soll. Sie sah dabei rundum operiert aus wie eine 45-Jährige. Zur Festivaleröffnung wurde Meryl Streep, 74, mit einem Preis für ihr Lebenswerk geehrt. Juliette Binoche, 60, überreichte ihn ihr unter Tränen und mit den Worten: “Du hast unseren Blick auf Frauen im Kino verändert und uns geholfen, anders auf uns selbst zu schauen.” Meryl, die sich traut zu altern – und alle Berufsjugendlichen im Saal applaudieren.

In Würde altern – ja, wie denn sonst?

Der Kapitalismus produziert Altersdiskriminierung am laufenden Band. Sogenannte Anti-Aging-Mittel gehören dazu. Oder Blödsinnsformulierungen wie “würdevolles Altern”, “aktives Altern”, “selbstbestimmtes Altern”, “erfolgreiches Altern” und “lebendiges Altern”. Das ganze Leben besteht aus lebendigem Altern. Laut Statistischem Bundesamt wird 2030 die Hälfte der Deutschen über 50 sein. Nicht mehr biologisch jung, aber auch bei Weitem nicht alt. Die Lebenserwartung steigt parallel dazu. Wir brauchen dringend ein Software-Update, das uns neue Bilder und Begriffe aufspielt, die Menschen in dieser Kohorte angemessen beschreiben. Wie sie sich jung und aktiv halten, ist eine individuelle Entscheidung. Wie sie das gesellschaftliche Gesicht des Alterns dadurch verändern werden, geht uns alle an.

Auch Männer unter den Opfern

Kraft, Ausdauer, Beweglichkeit, Virilität, mit einem Wort: Potenz bestimmt das Selbst- und Fremdbild des heterosexuellen Manns. Mit der körperlichen Stärke schwindet im höheren Alter auch oft das Selbstvertrauen. Und schon lange vor der Andropause stören sich manche Herren an ihren Falten, Tränensäcken oder der weicher werdenden Kieferkontur. Augenlidstraffungen, Fillerbehandlungen und vor allem Haartransplantationen sind inzwischen besonders gefragt.

Vor allem bei Männern funktioniert das nicht. Ich denke, es lässt einen tatsächlich älter wirken. Ich glaube fest an die Vorstellung, dass man nicht versuchen kann, jünger auszusehen.
— George Clooney, Schauspieler, 2015

Die grausame Wahrheit

Hier ein paar Bilder berühmter Frauen zwischen 49 und 81, geschminkt oder ungeschminkt, gefaltet oder gebügelt, operiert oder naturbelassen. So sehen sie wirklich aus. Manch ein Beobachter kann es kaum aushalten, dass ausgerechnet diese Geschöpfe sich nicht mehr biologisch fortpflanzen können. Schön, dass sie sich bemerkbar machen. Denn solange Frauen ab 50 überhaupt gesellschaftlich, beruflich, privat wahrgenommen und ernst genommen werden, ist schon viel gewonnen. Normalerweise erleben sie Ignoranz im öffentlichen Raum und Diskriminierung am Arbeitsplatz. Frauen anhand ihrer Talente anstatt ihrer Fruchtbarkeitssymbolik zu beurteilen ist ein Trick, den noch nicht alle beherrschen.

Bl0ß nicht zu viel Stress

Aus medizinischer Warte ist das Leben im Spätkapitalismus eine einzige Gefahrenquelle. Altern ist die Folge von Zellstress. Je mehr schädlichen Einflüssen wir uns aussetzen, desto schneller verfallen wir. Laut Dermatologinnen sind 85 Prozent des Alterns auf vermeidbaren Zellstress zurückzuführen und nur 15 Prozent auf den ganz normalen biologischen Strukturabbau. Was zu tun ist: Giften aus dem Weg gehen. Die ultimative Routine nach Jessica DeFino:

  1. Schütze deine Hautbarriere.

  2. Verkleinere dein Produktarsenal.

  3. Engagiere dich politisch, um das Problem der Umweltverschmutzung zu lösen.

  4. Fang an, “Anti-Aging” als “Anti-Exposure” zu begreifen, und sieh zu, wie deine Scham verschwindet.

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