Bilderdossier Nr. 5 – BRAUEN

Die Augenbrauen sind die Geheimwaffe in jedem Gesicht. Sie rahmen unsere Augen und kommunizieren sagenhaft präzise. Vor allem aber stecken sie voller Verheißungen, denen das fünfte Buchkapitel auf die Spur kommen will. Warum hielten so viele berühmte Frauen der Showgeschichte die dünnen Striche auf ihrer Stirn für besonders sexy? Warum haben alle James Bonds da so aufregende Fellstreifen? Wann und wie wurde die Monobraue zum Schönheitsideal? Wir lernen, wo Amor seine Kommandozentrale hat, wie es der Brauenblitz des Zeus in die Fernsehnachrichten schaffte und warum wir Menschen ohne Augenbrauen kaum erkennen können.

Ohne das britische Model Cara Delevingne wäre der heutige “Brow Craze” nicht denkbar. Seitdem ihre buschigen schalkhaften Streifen 2012 in einer großen Burberry-Kampagne zu sehen waren, werden Brauen obsessiver gezüchtet und gestylt als je zuvor. Breite, haarige, fast männliche Balken sollen es sein. Man könnte denken, es sei ein Zeichen der Emanzipation, dass Frauen jetzt “Boy Brows” tragen. Man kann aber auch die Geschichte befragen und erfahren, was für ein untrügliches weibliches Fruchtbarkeitsmerkmal buschige Augenbrauen schon immer waren.

“Wow brow”

Wie perfekte Frauenbrauen aussehen, haben die Männer der Familie Westmore 1974 definiert. Der Maskenbildner-Clan aus Hollywood stellte damals auf einer Fachtagung für ästhetisch-plastische Chirurgen eine Brauenform vor, die schnell zum Standard in der US-amerikanisch geprägten Welt wurde. In Indien, Pakistan und Iran kannte man solche geometrischen Leitlinien schon seit Jahrtausenden aus der traditionellen Fadenzupftechnik. Dass es keine universelle Idealbraue geben kann, die zu allen Gesichtsformen, Haarwuchstypen und Hautfarben passt, ist selbstverständlich. Wenn sich heute bestimmte Stylingtrends in allen Gesichtern auf Social Media wiederfinden, provoziert das daher oft eine unfreiwillige Komik. Die idealen Brauen – wie auch immer sie gestaltet sein mögen – fügen sich perfekt in ein Gesicht, schaffen Balance und Kontur und fallen dabei kaum ins Auge. Alles andere ist wohl “Fashion” oder das Ergebnis schlechter Beratung. Jedenfalls: wow.

Engelsgleiche Stirnen

Wer das so oft beschworene Wunder der Mona Lisa ergründen will, muss sich nur ihre Augenbrauen ansehen. Wenn er sie denn entdeckt, vielleicht unter Schichten Jahrhunderte alter Patina. Der Blick des Publikums gleitet an diesem Gesicht ab, sucht immer wieder vergeblich nach Halt. Michelangelo hat das nicht geplant, er hat nur das Schönheitsideal des 16. Jahrhunderts festgehalten. Queen Elizabeth I. von England trieb es auf die Spitze und rasierte sich die Brauen und den Haaransatz oberhalb der Stirn. Im China der Tang-Dynastie hingegen wurde die Stirn der Hofdamen schon im 8. Jahrhundert kunstvoll bemalt. Und im benachbarten Japan entwickelte sich aus dieser Kultur schließlich eine erstaunliche Praxis namens Hikimayu: die Stirn rasieren, weiß grundieren, und die Brauen als ovale Tupfen in der Mitte der Stirn wieder aufbringen.

Die schnellste Transformation

Radikales Augenbrauenstyling verspricht die wohl effektivste Verwandlung des Gesichts. Deshalb ist es so beliebt in der Modefotografie. Wer mit wenig Aufwand maximales Aufsehen erregen will, trägt blondierte (Beyoncé, Kim Kardashian, Lady Gaga), rasierte (Anohni, Marilyn Manson), rote (Gisele Bündchen) oder grüne Brauen (Marusha). Dieser beliebte Trick verändert nicht nur sofort den Gesichtsausdruck, sondern bewirkt auch eine soziale Irritation: Menschen sind es gewohnt, das Geschlecht, das Alter und den Gesundheitszustand anderer an der Stirnbehaarung ablesen zu können. Wer auf diese wichtigen Anhaltspunkte verzichtet, entzieht sich solchen biologischen Bewertungskategorien bewusst. Oder hat einfach nur Spaß an der Maskerade. Zum teuflischen Wespengesicht ist es dann auch nicht weit.

Der Mond ist aufgegangen

Seit den späten 1920ern begegnen uns diese schmalen, mondsichelförmigen Bögen auf der Stirn berühmter Schauspielerinnen. Es heißt, Max Factor habe diesen Look erfunden. Am Filmset rasierte er Greta Garbos Brauen und malte sie in einem dunklen Strich wieder auf. Frühe Stummfilmikonen wie Marlene Dietrich, Clara Bow oder Anna Mae Wong – sie alle trugen diesen Halbkreis. In den 1990ern wurde er wieder populär, und es begann eine neue Ära traumatisierter Brauen, von denen sich viele bis heute nicht erholt haben.

Das Kopfband war von Seide, hoch und breit /
Und ihre Augen voller Lüsternheit. /
Die Augenbrauen waren schmal gezogen, /
Wie Schlehenbeeren schwarz und fein gebogen.
— Geoffrey Chaucer, "The Canterbury Tales", um 1390

Wild oder gezähmt?

Die junge Brooke Shields stand nackt in der Öffentlichkeit, seit sie zehn Jahre alt war. Als sie fünfzehn war, kannte ein Millionenpublikum ihren Körper. Jugendschutz war damals kein Thema. Zum ausgestellten Jungfrauenklischee aus Die blaue Lagune gehörten 1980 auch ihre ungestümen Brauen. Madonna war immerhin schon volljährig, als sie mit Like A Virgin ihren ersten Hit landete und zugleich neue Maßstäbe im Brauen-Genre setzte. Nur wenige Jahre später erinnerte sich Pamela Anderson offenbar an Geoffrey Chaucers heiße Tischlersgattin (siehe oben) und verschrieb sich der guten alten Mondsichel. Je freizügiger sie auftrat, desto dünner und dunkler wurden ihre Brauen. Im Indierock der Neunziger blieb das nicht unbemerkt: Gwen Stefani, Courtney Love oder Dolores O’Riordan folgten ihrem Vorbild.

Hormonprahlerei

Da Brauen verlässliche Mimikpartner sind, liegt es auf der Hand, dass vor allem Diven und Leinwandgötter sie einzusetzen wissen. Wir müssen also auch über männliche Brauen sprechen. Modischen Schwankungen waren sie kaum unterworfen. Hier geht es vor allem um Hormonprahlerei: Viel Testosteron ist für eine ausgeprägte Stirnwulst verantwortlich. Wenn dann noch zwei buschige Streifen darauf sitzen, darf man nach archaischer Lesart davon ausgehen, dass das maskuline Genom-Portfolio bestens ausgestattet ist. Erstaunlich, wie doch immer wieder ähnliche Brauentypen in Hollywood auftauchen.

Ein starker Streifen

Treffen sich die beiden Brauen über der Nasenwurzel, sind meist die Gene FOXL2 und PAX3 dafür verantwortlich. Im antiken Griechenland und Babylon galten Frauen mit Monobrauen als besonders sexy und fruchtbar. Auch die Nachfahren des turkmenischen Kadscharen-Geschlechts, das bis 1925 im Gebiet des heutigen Tadschikistan herrschte, tragen vielfach dieses Merkmal. Zur Erinnerung an die mexikanische Malerin Frida Kahlo gehört immer ihre opulente Braue, nur Mattel verwehrte seiner Kahlo-Barbie 2018 dieses Symbol weiblicher, urwüchsiger Stärke. Das zypriotische Model Sophia Hadjipanteli hingegen vermarktet ihr erstaunlichstes Merkmal ganz ausgezeichnet.

Der NBA-Basketballer Anthony Davis, der bei den Dallas Mavericks spielt, hat sich die Sprüche “Fear the brow” und “Raise the brow” patentieren lassen. Und die harmonische Gegensätzlichkeit von Ernie und Bert zeigt sich ganz deutlich auf ihrer Stirn.

Die klassische Form der “Supermodel Brows”, ganz ähnlich dem Westmore-Schema, ging in die Geschichte ein. Man findet sie in den jungen Gesichtern von Christy Turlington, Claudia Schiffer oder Naomi Campbell. Der legendäre Visagist Kevyn Aucoin (1962-2002) kam plötzlich auf die Idee, schmalere Brauen zu zupfen, oder die Stirn gar zu rasieren, wie es schon so viele Gestalter vor ihm getan hatten. In diesem Dokumentarfilm erinnern sich Cindy Crawford und Kate Moss an den Schock, der sofort zum Ideal der Neunziger wurde. Die Pinzettenjahre begannen.

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